Stelln Sie sich vor… Geschichten zur Geschichte des Café Central Wien

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das Central, das betrat man früher gar nicht durch den heutigen Haupteingang in der Herrengasse, sondern durch einen Seiteneingang des Gebäudes. Gleich nachdem das große Tor ins Schloss fiel, umfing einen die gemütliche, vom Tageslicht getrennte Atmosphäre. Ideales Umfeld für Sonnenflüchter, Eigenbrödler und große Denker. Von dort führte ein schmaler Gang in den Arkadenhof. Und hier war das Herz des Cafés: die heiligen Stammtische, die berühmten Schachspieler, die feinen Damen, die Billardtische und gleich um die Ecke, die Dominospieler.

Hier wurde getratscht, gelacht, gedacht und wild diskutiert. Hier stieg der Rauch bis hoch zum Glasdach auf. Ob da oben noch Gedanken der einstigen Centralisten hängen?

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der Peter Altenberg hat sich nicht nur seine Post ins Central schicken lassen, sondern auch seine Wäsche. Geschlafen hat er ganz in der Nähe, im Grabenhotel in seinem sogenannten Nest. So etwas Zweitrangiges wie schlafen, hat er am Tage verrichtet, denn sobald es dunkel wurde, musste er ja nach Haus – ins Central. Dort begann der Tag dann spätnachmittags mit einem Kaffee und schon kam die gute Laune. Die konnte der Kenner am Stock erkennen. Wenn Altenberg den Stock am Weg zum stillen Örtchen mitnahm und voller Freude geschwungen hat, war der Tag bzw. der Abend ein Vielversprechender!

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der Peter Altenberg hat eigentlich Richard Engländer geheißen und war Sohn sehr vermögender jüdischer Industrieller. Beseelt von der Dichtung und vernarrt in ein Mäderl namens Petra aus Altenberg, hat er sein Leben der Verehrung des zarten Geschlechtes und der Dichtung verschrieben. Nicht immer war er bei Kasse, aber erfindungsreich genug, niemals ohne Zahlungsmittel zu sein. Manch einer kann mit Stolz behaupten, ein Original vom Altenberg auf einer Serviette zu besitzen. Denn mit solch einzigartiger Literatur pflegte Altenberg im Tauschhandel seine offene Zeche bezahlen zu lassen.

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es hat im Central verschiedene fixe Stammtische gegeben. Jeder mit unumstößlichen Regeln und festgelegten Stammgästen. Beispielsweise ist man an den Tischen von Peter Altenberg oder von Karl Kraus nur auf höchstpersönliche Einladung gesessen. Das war eine große Ehre. Ein intellektuelles Hochgefühl hat diese Tische umgeben und war auch für die anderen Gäste im Central spürbar. Die Damenwelt fühlte sich von diesen Tischen magnetisch angezogen. Lina Loos, verwegene Schauspielerin und erste Ehefrau von Adolf Loos, hat vermutlich am häufigsten die Ehre gehabt dabei zu sein, weil Altenberg eine Göttin in ihr sah.

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im Central hat es eine Berühmtheit namens Jean gegeben. Natürlich war auch er, von einer den ungekrönten Walzerkönig verehrenden Mutter, mit dem schönen Namen Johann bedacht worden. Im frankophilen Wien, war man damals gerne der „Jean“.

Jean aus dem Central war eine Institution, beinahe so berühmt wie das Central selbst. Er hat nicht nur die geheimsten Geheimnisse seiner Gäste gewusst, man konnte, wenn der schnöde Mammon nicht zugegen war, auch bei ihm anschreiben. Und dem Polgar, dem hat er sogar öfter Kredit gewährt. Ja, bei Jean, da musste man halt „wer sein“ und dann war fast alles möglich. Kaufen ließ sich der Respekt von Jean nicht. Sie brauchen nicht meinen, dass ein saftiges Trinkgeld alles möglich gemacht hätte. Oh nein, wie banal. Das war vielleicht in irgendeinem Vorstadtcafé der Brauch, aber doch nicht im Central!

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dass Sie im Central auch speisen können, haben Sie Napoleon zu verdanken. Nicht weil der selbsternannte Kaiser der Franzosen so gern gut gegessen hat, sondern weil er die Stadt bei seiner Belagerung vom Import abgeschnitten hat. Und da die edlen Kaffeebohnen bekanntlich nicht in unseren Breiten gedeihen, wurden die findigen Cafetiers Wiens erfinderisch. Der sogenannte „Ziguricafe“ wurde zum Ersatz, aber sein Fanclub blieb überschaubar. Um die Gäste über den schmerzlichen Verlust des Kaffeegenusses hinweg zu trösten, wurde in den Kaffeeküchen plötzlich aufgekocht. Kleine Herrlichkeiten wie das klassische Paar Würstel mit Semmerl und Senf, das allzeit beliebte Gulasch und der Wiener Suppentopf hielten Einzug und sind bis heute aus einem guten Café nicht mehr wegzudenken.

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der Egon Friedell durfte sogar seine außergewöhnliche Fastenkur im Central zelebrieren. Wenn sich der beleibte Friedell niederließ, haben die Sessel ein kleines „Ächzkonzert“ erklingen lassen. Aber jedes Jahr im Frühling wurden sie kurzfristig weniger beansprucht. Da brachte der enge Freund Altenbergs immer sein berühmtes Sackerl mit. Leerte den Inhalt – altbackene, in Würfel geschnittene Semmerln – auf den ehrwürdigen Tisch und bestellte beim Jean einen Tee ohne Zucker dazu. Jedes Würferl hat dann ein Teebad genommen, bevor es im Friedellschen Magen verschwand. Und jedes Jahr purzelten erfolgreich ein paar Kilos. Nur kurzfristig, versteht sich von selbst. Denn der Jean hat schon gewusst, wer ein guter Werbeträger für den unaufhaltsamen Aufstieg der legendären Mehlspeisen war. Und dem Friedell war es eine Ehre damit anzugeben: Jeder Kilo hart im Central „ersessen und eressen“!

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es gab sogar ein Wundermittel – das Centralin. Ein höchst bekömmliches und sehr empfehlenswertes Suchtmittel. Ohne das tägliche Quantum Centralin, konnte laut Polgar ein Teil der wienerischen Menschheit nicht überleben. Centralin konnte und kann man nur vor Ort bekommen. Die einmalige Rezeptur: Kaffeehausluft und Kaffeehausduft mit Geistesblitzen beim Stillsitzen in idyllischer Stimmung beim harten Wortgefecht. Umrahmt vom Lächeln einer herrlichen Frau, begleitet vom Schimpfen der Schachspieler. Centralin hat alle Unbill und alle Umbauten überlebt. Und auch heute wird es noch gerne genommen!

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das Central war das erste Cafe mit selbständigem Damenbesuch. Die feine Dame der Wiener Gesellschaft hat jedes andere Kaffeehaus selbstverständlich nur in Begleitung eines Herrn besucht. Nur im Schanigarten unter freiem Himmel hat es sich damals geschickt in Anwesenheit der Anstandsdame dem Genuss der schwarzen Bohne zu frönen. Nicht so im Central! Dort hat es ja die bauliche Ausnahme gegeben: den Innenhof mit einzigartigem Glasdach. Man war quasi nicht im Freien. Und nur dieser Umstand erlaubte es der Damenwelt, gut behütet – sprich mit herrlicher Kopfdekoration, aber ohne Herrenbegleitung – und ganz selbständig, zum Kaffee zu kommen.

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das Central wurde viele Jahre sogar „die Schachhochschule“ genannt. Bis 1938 war das Central nicht nur einer der wichtigsten Treffpunkte des geistigen Lebens in Wien, sondern es verkehrten dort auch zahlreiche, international prominente Schachmeister.

Täglich wurde unter hoher Konzentration Schach gespielt und immer ging es dabei um alles. Alfred Polgar war eine gefürchtete Größe und wer einmal Herrn Bronstein (Leo Trotzki) schlagen konnte, erzählte davon noch seinen Enkelkindern. Trotzki erwähnte oft, dass er das „Österreichische“ nur beim Schach im Central gelernt hatte. Und er war ein fleißiger Spieler, er kam jeden Tag ins Schachzimmer. Angeblich hat Jean (mit bürgerlichem Namen Johann Czerny) beim Ausbruch der Revolution in Petersburg ausgerufen: „Das ist mir eine schöne Revolution – der Rädelsführer sitzt täglich bei uns und Schach ist ihm bestimmt wichtiger!“

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das erste Freiluftkaffeehaus eröffnete ein gewisser Taroni Mitte des 18. Jahrhunderts am Graben. Selbiger war bereits seit dem Mittelalter Wiens Prominiermeile Nummer eins. Sehen und gesehen werden – damals wie heute. Taroni erwirkte die Erlaubnis, bei Sonnenschein Tische und Stühle auf der Gasse im Freien aufstellen zu dürfen. Bei Schlechtwetter musste alles sofort weggeräumt werden. Ein flinker Ober, oft mit Namen Johann, war dann sofort zur Stelle. Wie der sprichwörtliche Schani, lief er hin und her, um den flexiblen Garten so rasch wie möglich wieder zu entfernen. „ Schani, die Sonn` scheint – trag schnell den Garten aussi…“, ertönte es dann oft durch Wiens Strassen. Ganz anders im eleganten Central. Hier regierte Herr Oberkellner Jean auf Augenhöhe mit seinen hochrangigen Gästen.

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das Glaserl Wasser gehört schon seit dem 19. Jahrhundert zum perfekten Kaffeegenuss im Central dazu. Der gelernte Gast weiß, dass er zuerst einen Schluck vom Wasser nimmt, um den Geschmack im Munde zu neutralisieren, bevor er seinen Kaffee genießt. Das vermeintlich „verkehrt“ auf dem Glas Wasser liegende Löfferl, zeigt dem Gast, dass selbiges soeben frisch für ihn eingeschenkt wurde. Ein schönes, im Central täglich gelebtes Ritual, ein Relikt aus dem spanischen Hofzeremoniell und der Hofetikette der Habsburger. Der aufmerksame Ober wird nach einiger Zeit noch ein Glaserl Wasser bringen und ohne den Gast zu stören auf den Tisch stellen. Die eleganteste Version, dem Gast die Möglichkeit zu geben, einen weiteren Wunsch erfüllt zu bekommen.

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